Kunstprojekt "Atelier Goldstein"

Haus der bezaubernden Talente

 STERN-Artikel vom 29. April 2008
Vor sechs Jahren kam Hans-Jörg Georgi ins "Atelier Goldstein". Ein Glück für alle hier. Für Christiane Cuticchio ging damit ein langwieriger und nervenaufreibender Kampf gegen uneinsichtige und sture Behörden zu Ende. Ihr ist es zu verdanken, dass der heute 59-jährige Georgi bereits zahlreiche Ausstellungen hinter sich hat und seine Bilder und Flugzeugflotten aus Pappe so hoch im Kurs sind. 
Angefangen hat er mit Abertausenden kleiner Bleistiftzeichnungen. Durch die Förderung der britischen Künstlerin Elisabeth Coleman ist er nun soweit, dass er sein geniales Talent auf große Leinwände überträgt. Beeindruckend. Den Flugzeugmodellen liegen perspektivisch genaue Skizzen von innen und außen vor. Die Flieger haben teilweise gigantische Ausmaße und wirken trotz des schweren Pappmaterials filigran und schwebend leicht. Wie er sich das alles erarbeitet, bleibt ein kleines Rätsel. Denn der Mann hat ein schweres Augenleiden, sieht kaum noch. In der Psychologie spricht man von "intuitiver Physik", was soviel heißt, in jedem Material immer die Form zu finden, die zwischen Harmonie und Spannung hin -und her pendelt. 

Christa Sauer, eine ebenfalls prominente "Goldstein"-Künstlerin, malt Kreise. Farbige Kreise, große und kleine, und verwebt sie zu beeindruckenden Bildteppichen. Sie hat eine Aura, die in den Bann zieht. Ihre Augen strahlen liebenswerte Güte und unendliches Wissen aus, sie wirkt stark und in sich ruhend. Und lächelt still. Emsig fliegt der Pinsel über das Papier. Wie viele Variationen von Kreisen hat Christa Sauer schon gemalt? Immer wieder gibt sie "ihren" Kreisen neue künstlerische Ausdrucksformen. Keiner ist wie der Andere. In allen Größen und nur denkbaren Formaten. Riesige Acryl-Leinwände hat sie schon mit Ölfarbe bemalt und zeigt immer wieder aufs Neue die Vielfalt ihres Könnens. Wer glaubt, die Kunst Christa Sauers mit scheinbaren kunsttheoretischen, pseudo-psychologischen Analysen glaubhaft erklären zu können, der irrt. Christa Sauers Kunst muss nicht erklärt werden - sie steht für sich selbst.
Die Suche nach dem Haus der Zukunft
Und da ist auch noch Stefan Häfner, ein hagerer Mann, Ende 40. Seine ganze Leidenschaft gehört der Architektur. Immer auf der Suche nach dem optimalen Haus der Zukunft, läuft er mit offenem Blick durch die Städte, hält sich stundenlang an Baustellen auf und lässt diese Eindrücke in seine künstlerische Arbeit einfließen. Fast philosophisch anmutend sind die vagen Erklärungen, die der Künstler zu seinem Werk abgibt. Häfner sieht sehr richtig, dass die wenigsten Häuser sich den Bedürfnissen der Menschen anpassen, dass es meistens sogar umgekehrt ist. Darüber sinniert er. Seine Häuser baut er maßstabsgerecht und en detail. Sie erinnern ein wenig an die Wohneinheiten des Franzosen Le Corbusier. Häfners Modelle wurden bereits vom Deutschen Architektur Museum in Frankfurt aufgekauft und gleichwertig mit Modellen namhafter Kollegen ausgestellt. 


Akribie und Konzentration
Ein Rascheln und Rauschen und Knistern dringt aus dem Zimmer von Birgit Ziegert. Eine riesige Plane bedeckt Tisch und Boden. Birgit Ziegert verschwindet fast dahinter. Akribisch näht sie mit höchster Konzentration ihre selbst entworfenen und geschnittenen Tiere auf den Stoff. Ein Vorhang entsteht. Ziegerts Kunst erinnert fast an die surrealistischen Arbeiten von Jean Dubuffet, der seinerzeit in seinem Werk ganz sicherlich nicht die westliche Auffassung von Moral und Ästhetik berücksichtigt hat. Es gibt kaum ein Material, das sich das Allround-Talent Ziegert noch nicht erobert hat. Und das mit einer Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit, die immer wieder verblüfft. 

"Es gilt, eine versteckte Welt zu entdecken
Das "Atelier Goldstein" hat aber auch mit alltäglichen Schwierigkeiten zu kämpfen. Es sind die kleinen Anfeindungen, gegen die sich das Team um die "Goldstein"-Künstler zur Wehr setzen muss. Immer wieder von Neuem muss Aufklärungsarbeit geleistet werden, müssen Missverständnisse aus dem Weg geräumt werden. Erklärungsbedarf lauert hinter jeder Ecke. Unermüdlich setzt sich die Atelierleiterin für ihre Künstler ein und predigt: "Es gilt, eine versteckte Welt zu entdecken." Hart ist es, immer wieder zur Rechtfertigung genötigt zu werden. 
Der Druck von außen wächst
Christiane Cuticchio weiß um das Privileg der "Goldstein"-Künstler: "Je erfolgreicher die Künstler werden, desto größer wird der Druck von außen. Einige gönnen uns den Erfolg nicht und blicken neidvoll auf den Umstand, dass es uns zunehmend gelingt, unsere Künstler vom Stempel Behinderung zu befreien und dabei eine Öffentlichkeit anzusprechen, die fern ist von Trägern und anderen sozialen Einrichtungen. Leider wird dabei oft vergessen, dass nichts von nichts kommt." Das sind die Momente, in denen Christiane Cuticchio alles hinschmeißen möchte, weil es so unendlich viel Kraft kostet, immer wieder gegen den Strom zu schwimmen. 

Doch der Glaube an ihre Künstler lässt sie weitermachen. Im "Atelier Goldstein" findet sie ihre wahren Lehrmeister. Denn hier wird nicht nur Kunst produziert, sondern Nächstenliebe praktiziert. Und da können auch andere noch lernen. Im Sommer wird die bunte "Atelier"-Truppe umziehen - von der trostlosen Hanauer Landstraße in den geschäftigen Stadteil Sachsenhausen. Ins verlassene "Ölschlösschen" am Mittleren Hasenpfad, eine denkmalgeschützte frühere Ölfabrik. Die nämlich soll zur Kulturfabrik werden. Mit der seit 25 Jahren durch Frankfurt tingelnde Kammeroper und einem Kinder- und Jugendtheater, das der künftige Frankfurter Schauspiel-Intendant Oliver Reese gründen will.

Die Kollegen freuen sich schon aufeinander. 

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